Schattenfreunde Drucken


Schon von ferne vernahm man das Gezwitscher der gefiederten Bewohner. Lauthals und mit ganzem Einsatz ihres Könnens tirilierten sie im Garten umher, als ob sie mit dem Glanz der Sonne wetteifern wollten. Übermütige Stimmung herrschte in diesem kleinen Reich und alles schien in Harmonie zu leben. Doch was war das? Von hinten, da aus der alten Tanne ertönte zuerst ein Seufzen, dann aber ein Gezeter und Geschimpfe:
„Gestern war ich sogar Letzter bei der Sturzflugübung und heute hat mir der freche Spatz von nebenan mein Lieblingsessen vor der Nase weggeschnappt. Einfach ganz schrecklich, dieser Tag heute!“, meckerte ein kleiner, zerzauster Sperling und machte wieder einen Hüpfer zurück in den Schutz des Tannenreisigs. „ Achtung, kleiner Mann, hier sitzt schon jemand!“, tönte es plötzlich hinter ihm. Geistesgegenwärtig sprang der Sperling wieder vorwärts. Die schwarze Amsel, auf der er fast gelandet wäre, ordnete gemächlich ihr Gefieder und erkundigte sich:
„Na, was ist denn dir passiert?“ „Oh“, sprudelte es aus ihm heraus, „alle Welt hat sich gegen mich verschworen, es klappt überhaupt nichts mehr, alles ist so ungerecht und überhaupt, die Sonne scheint viel zu grell!“
„Aber, der Sonnenschein, der dich jetzt blendet, schickt seine wärmenden Strahlen auch zu dir. Komm, wisch deine Tränen fort, du bist hier nicht alleine“, tröstete ihn die Amsel und reichte ein Taschentuch. Dabei trat sie etwas ins Licht heraus und man bemerkte erst jetzt ihr steifes Bein.
„Oh“, flüsterte der Spatz, das habe ich nicht gewusst.
„Ach, das macht nichts“, entgegnete sie freundlich, „denn umarmen kann ich dich trotzdem!“
Da strahlte der kleine Spatz und seine Probleme erschienen ihm so leicht wie Löwenzahnsamen, die der Wind mit sich hinweg trägt.

© Heidemarie Andrea Sattler


 
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